Kommentar: Zeit für Veränderungen

Wenn in einer Beziehung zu viele Dinge vorgefallen sind, um weiterhin glücklich miteinander zu sein, dann zieht man meist die Konsequenzen. Es mag schwer fallen, doch hinterher wirkt es oft wie eine Befreiung, in der Regel für beide Seiten. Das gilt in gewissem Maße nicht nur für das Privatleben, sondern auch für den Sport. Stimmt das Verhältnis nicht mehr, dann wird die Reißleine gezogen. Das bedeutet fast immer, dass der Trainer seinen Stuhl räumen muss.

Schon nach wenigen Monaten ist jedenfalls klar, dass die Beziehung zwischen dem erst im letzten Jahr installierten Bundestrainer Christian Prokop und der deutschen Nationalmannschaft kaum noch zu retten ist. Es mag verrückt klingen, aber wenn man den Beteiligten aufmerksam zuhört, dann klingt dies zwischen den Zeilen doch mehr als nur durch. Denn wie sonst ist der Auftritt von Bob Hanning, dem DHB-Vizepräsidenten, im "aktuellen Sportstudio" zu erklären?

Angesprochen darauf, ob es sich der Verband leisten könne mit einer Entlassung Prokops sozusagen die Ablösesumme von 500.000 Euro in den Sand zu setzen, die man einst an seinen Ex-Club nach Leipzig überwies, antwortete er vielsagend: "Der DHB kann es sich natürlich leisten, aber die Frage ist, ob er das will und für notwendig erachtet." Volle Rückendeckung für den eigenen Wunschtrainer sieht jedenfalls anders aus.

Für Hanning ist das frühe Aus bei der EM in Kroatien das größtmögliche Fiasko. Denn eigentlich, ja eigentlich, müsste er bei einer Entlassung Prokops ebenfalls seinen Hut nehmen. Das wäre allerdings, bei allen Strippen, die er im Hintergrund gerne in seine Richtung zieht, ebenfalls ein Fiasko. Denn obwohl Hanning polarisiert wie kein Zweiter, hat er sich in den letzten Jahren um den deutschen Handball sehr verdient gemacht, Stichwort Nachwuchsarbeit, Stichwort Umstrukturierung.

Die von ihm im ZDF angekündigte Analyse kann laut seiner Aussage bis zu sechs Wochen in Anspruch nehmen. Es wäre eine große Überraschung, wenn Prokop danach noch Bundestrainer wäre. Bleibt er im Amt, dann sind Veränderungen an anderen Stellen unerlässlich, denn kompletten Stillstand wird man der Öffentlichkeit nicht verkaufen können. Doch wo sind Veränderungen, die Personen Hanning und Prokop mal ausgenommen, überhaupt möglich?

Sportdirektor Axel Kromer hat seine Funktion erst am 1. Januar angetreten. Es würde doch arg überraschen, wenn er in Zukunft keine Rolle mehr spielt. Seine Kompetenz kann auch niemand ernsthaft anzweifeln. Eine andere Personalie sorgte zuletzt sehr für Verwunderung, nämlich die von Oliver Roggisch. Er ist der Teamkoordinator. Welche Aufgaben er genau übernimmt ist relativ unklar und man munkelt, dass er einer Veränderung zum Opfer fallen könnte.

Das gilt auch für Uwe Gensheimer in seiner Position als Kapitän. Erneut gelang es ihm nicht die zweifelsohne herausragenden Leistungen auf Vereinsebene auch im DHB-Trikot auf die Platte zu bringen. Vielleicht würde es ihm einfach mal gut tun, wenn er nicht mehr als Gesicht des deutschen Handballs fungieren müsste. Ein Fokus auf die sportlichen Leistungen wäre für ihn dann einfacher und könnte befreiend wirken, siehe oben.

Doch so sehr der DHB sich auch bereit ist zu verändern, die Qualität der Gegner und deren Auftreten kann man nur in einem gewissen Maße beeinflussen. Sicher ist es gut Ziele zu haben, aber nur weil man 2016 fast alles in Grund und Boden spielte, sind Titel oder Medaillen nicht automatisch garantiert. Man kann ja gerne mal bei EM-Gastgeber Kroatien fragen wie machtlos man ist, wenn sich der Schlüsselspieler schon im ersten Spiel verletzt und nicht mehr zur Verfügung steht.

Im Sport gibt es eben etliche Variablen, die zum Erfolg führen. Planbar sind sie nicht. Es müssen unendlich viele Rädchen ineinander greifen, wenn es zum absoluten Triumph reichen soll. Das beste Beispiel ist der neue Europameister Spanien. Hätte sich Gonzalo Perez de Vargaz nicht verletzt, dann wäre Arpad Sterbik nicht nachnominiert worden und wer vermag zu sagen, ob die Iberer sonst Frankreich im Halbfinale so dominiert hätten?

Zu viele dieser Rädchen griffen aus unterschiedlichen Gründen beim deutschen Team jedenfalls nicht ineinander. Ob das angesichts der aktuellen Entwicklung im Verbund zwischen Christian Prokop und dieser Mannschaft noch möglich ist, muss stark bezweifelt werden. Aber nicht nur beim Trainer ist Luft nach oben, auch die Spieler selbst müssen sich an die eigene Nase fassen. Die Körpersprache machte nicht immer den besten Eindruck.

Klar ist, dass es nicht einfach so weitergehen kann, wenn man wieder an die Erfolge von vor zwei Jahren anknüpfen möchte. Im kommenden Januar steht mit der Weltmeisterschaft im eigenen Land ein Turnier an, bei dem ein teils blutleerer Auftritt wie jetzt in Kroatien oder 2017 in Frankreich dem Sport einen großen Schaden zufügen könnte. Dessen sollten sich alle Beteiligten mehr als bewusst sein. Alleine deswegen ist es an der Zeit für Veränderungen.

Sascha Staat