Kommentar: Mehr als ein Marketingcoup

Dass Bob Hanning, der Geschäftsführer der Füchse Berlin, und Handballikone Stefan Kretzschmar über viele Jahre ein eher gespaltenes Verhältnis zueinander hatten, ist sicherlich kein Geheimnis. Umso überraschender mag es für viele kommen, dass der Verein aus der Hauptstadt nun eine nicht gerade unbedeutende Personalentscheidung bekannt gegeben hat. Der neue Sportdirektor der Füchse heißt ab sofort nämlich Stefan Kretzschmar.

Um die Faktenlage nicht zu vernachlässigen sei erwähnt, dass er in dieser Funktion auf Volker Zerbe folgt. Den ehemaligen Nationalspieler kann man, ohne seine fachliche Kompetenz damit im Ansatz kritisieren zu wollen, als eher farblos und wortkarg bezeichnen. Er ist das genaue Gegenteil von dem, was Kretzschmar darstellt. Grundsätzlich keine negativen Eigenschaften, im Sportbereich sind aber insbesondere in Zusammenarbeit mit den Medien andere Dinge gefragt.

Fakt ist auch, dass Hanning und Kretzschmar sich nicht immer grün waren. Der Füchse-Boss regiert gerne mit strenger Hand und duldet in der Regel keine meinungsstarken Menschen neben sich. Doch zuletzt wuchs der gegenseitige Respekt immer mehr. So hob Kretzschmar in Interviews hervor, dass der Deutsche Handball-Bund nur aufgrund von Hannings Engagement so gut aufgestellt sei wie noch nie. Solche Aussagen hätte es früher nicht gegeben.

Was also lange schier unmöglich schien, könnte nun zu einer Art Liebe auf den zweiten Blick werden und ist definitiv mehr als nur ein Marketingcoup, das muss es allerdings auch sein. Hanning weiß um die Ansprüche in Berlin und die Tatsache, dass bei mittlerweile zwei Erstligisten im Fußball alle anderen Sportarten in deren Schatten enorm zu kämpfen haben. Und er weiß um die sportliche Kompetenz Kretzschmars sowie sein unglaublich großes Netzwerk.

Die Füchse drohen in der Bundesliga ein wenig den Anschluss zu verlieren, unabhängig von der Auftaktpleite in Leipzig. Vereinen wie Meister Flensburg, Kiel oder auch die Rhein-Neckar Löwen können sie momentan nicht das Wasser reichen. Es musste also etwas getan werden, um nicht dauerhaft im Niemandsland zu verschwinden. Mit der Installierung von Kretzschmar geht Hanning, um es im Fachjargon der Pokerspieler zu sagen, "all in", aber ohne den Flop gesehen zu haben.

Kretzschmar, in Leipzig geboren und zuletzt zehn Jahre Mitglied im Aufsichtsrat des SC DHfK, verlegte seinen Lebensmittelpunkt unlängst an den Stadtrand Berlins. Er wuchs in der Metropole auf, ist ein Kind der Hauptstadt. An Identifikation sollte es daher nicht mangeln. Anders als noch bei den Sachsen, wo er im Hintergrund aktiv war, wird er nun viel mehr im Fokus stehen. Das ist er gewohnt, doch die Rolle als TV-Experte ist mit seiner neuen Aufgabe nicht zu vergleichen.

Die beiden einflussreichsten Personen im deutschen Handball haben also zueinander gefunden. Es ist auch deswegen eine Chance, weil es die Sportart hierzulande voranbringen kann. Es stellt sich alleine die Frage, ob zwei Charakterköpfe wie Hanning und Kretzschmar auf Dauer miteinander arbeiten können. Kompetenzgerangel können sich die Füchse nicht erlauben. Gelingt es ihnen aber auf der gleichen Welle zu reiten, dann könnte es eine sehr erfolgreiche Liaison werden.

Sascha Staat