Kommentar: Schmaler Grat mit unbekanntem Risikofaktor

Nun wird sie also endgültig zur Farce, die Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakei. Mit viel Vorfreude war man angesichts des Umbruchs beim DHB-Team ins Turnier gegangen. Neue Gesichter hatten Lust auf mehr gemacht. Ein frischer Wind wehte und selbst wenn noch ein wenig Sand im Getriebe war, konnten die Spieler sowohl die Fans als auch die Experten bei ihren ersten Auftritten für sich begeistern. Nun sieht es danach aus, als könnte all das komplett in den Hintergrund geraten.

Zunächst hatte sich Julius Kühn mit Corona infiziert, dann sein Ersatzmann Hendrik Wagner. Es folgte mit Lukas Mertens, Andreas Wolff, Kai Häfner, Timo Kastening und Luca Witzke gleich ein Quintett. Heute dann eine weitere Hiobsbotschaft: Till Klimpke und Marcel Schiller müssen vorerst ebenfalls in Isolation. Da kann man fast schon von Glück im Unglück sprechen, dass einige Stammkräfte zunächst abgesagt hatten und nun in einer Notsituation dennoch bereit sind sich zur Verfügung zu stellen.

Gleich mehrere Fragen schießen einem allerdings durch den Kopf: Wozu spielt man eigentlich noch? Ist es das Risiko wert? Und tut sich der Handball damit einen Gefallen? Die Gründe, warum die Partien weiterhin ausgetragen werden, liegen auf der Hand. Sie sind finanzieller und auch organisatorischer Natur. Was so lapidar klingen mag, ist offensichtlich. Das monetäre Defizit wäre noch größer, als es ohnehin ist. Alle Mannschaften wieder nach Hause zu schicken ist einfach keine Option.

Das ist aus Sicht der Organisatoren sogar nachvollziehbar. Sie müssen sich aber den Vorwurf gefallen lassen, dass im Vorfeld nicht alles für eine sichere Abwicklung getan wurde. Spätestens als sich kurz vor dem EM-Start fast die kompletten Teams aus Frankreich und Serbien infiziert hatten, wäre es an der Zeit gewesen die Notbremse zu ziehen und wie schon bei der Weltmeisterschaft vor einem Jahr in Ägypten den Weg der "harten Bubble" zu gehen und das Risiko zu minimieren.

Hier muss man den Organisatoren Naivität und Blauäugigkeit vorwerfen. Denn insbesondere durch die neue Omikron-Variante war absehbar, dass es zu Problemen kommen würde. Auf der anderen Seite kann man darüber diskutieren, ob eine Ausbreitung der Infektionen überhaupt zu vermeiden war. Dass aber an den ersten Tagen zahlreiche Spieler und Verbände schockiert über die Zustände waren, sollte an dieser Stelle aussagekräftig genug sein. Das hätte vermieden werden können und müssen. 

Ist es also das Risiko insgesamt noch wert? Eine Frage, die man genauso leidenschaftlich diskutieren kann. Betrachtet man es aus Sicht eines Leistungssportlers, dann wird der immer zu einem klaren Ja tendieren. Sportler wollen sich messen, sie wollen um Punkte und Siege kämpfen und, falls möglich, Titel gewinnen. Dabei setzen sie ihre Gesundheit regelmäßig aufs Spiel. In jedem Training, bei jedem Zweikampf in den sie sich werfen. Das Risiko ist ein stetiger Begleiter.

Der einzige Unterschied ist aktuell nur, dass die Spätfolgen unbekannt sind. Bei einem Kreuzbandriss oder einem Fingerbruch ist die Ausfallzeit bekannt. Bekannt ist auch, dass man nach dem Ende der Karriere teilweise noch darunter leiden kann. Aber wie sieht das bei einer Corona-Erkrankung aus? Es fehlen momentan einfach noch die Erfahrungswerte. Die massiv unterschiedlichen Verläufe bei einer Infektion machen es den Entscheidungsträger nochmal schwerer.

Auf der anderen Seite ist festzuhalten, dass die neue Variante bislang keine schweren Verläufe nach sich zieht. Viele Virologen gehen davon aus, dass sie das Ende der Pandemie bedeutet. Wichtig ist, dass eine gute medizinische Versorgung gewährleistet ist, die Menschen aber gleichzeitig lernen mit dem Virus zu leben. Sich zuhause zu verschanzen kann und wird auf Dauer keine Lösung sein. Daher bedarf es vernünftigen Konzepten, um alles in geordnete Bahnen zu lenken.

Und tut sich der Handball aktuell einen Gefallen? Mit Sicherheit nicht. Wo der Januar eigentlich zu dem Monat wird, in dem die Sportart durch Leidenschaft, Emotionen und Freude glänzt, steht sie dieses Mal durch negative Schlagzeilen im Mittelpunkt. Gefühlt könnte in Deutschland nur noch der EM-Titel das Image nach den Meldungen der letzten Stunden retten. Die positive Grundstimmung der Tage vor dem Turnierstart, sie ist jedenfalls verflogen, Sorge herrscht vor.

Es bleibt also ein schmaler Grat, egal welche Seite man vertritt.

Sascha Staat